Warum das Aufspüren des Humus in unserer Lebensgeschichte gerade in Krisenzeiten wichtig ist
Unsere Biografie ist stets anwesend. In der Gegenwart führen wir unser Leben, doch unsere Geschichte ist eingebunden in Vergangenheit und Zukunft. Und: Unser Leben ist geprägt von gesellschaftspolitischen, kulturellen Entwicklungen und Einschnitten, von Umbruchs-und Krisensituationen. Es ist immer auch zeitgeschichtlich.
Die aktuelle krisenhafte Zeit verlangt uns einiges ab. Sie bedroht uns mit Veränderungen im Außen und fordert uns mit immer neuen Themen im Inneren. Sie konfrontiert uns mit unseren Ängsten, aber auch unserer Lebenssehnsucht und Kraft – und möglicherweise mit unseren Krisenkompetenzen. In dieser Zeit zerbrechen alte Ordnungen und Identitäten. Eine Lücke entsteht mit vielen offenen Fragen. Zum Beispiel: Wie wollen wir unser Leben in Zukunft ausrichten und gestalten?
Krisen sind zugespitzte Entwicklungen, die befreiende Antworten suchen.
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte ist eine Möglichkeit, auf Spurensuche zu gehen und Antworten zu finden. Zum Beispiel: Wie bin ich mit schwierigen Situationen in meinem Leben gewachsen? Was hat mich gestärkt und getragen? Gibt es einen roten Faden, an den ich gerade jetzt anknüpfen kann?
Biografiearbeit stellt die Wertschätzung für alles menschlich Erlebte in den Mittelpunkt, ohne Rang und Namen.
Biografiearbeit spricht jedem Menschen eine Würde zu, die Würde der individuellen Biografie, des ganz persönlichen Schicksals.
Ressourcenorientierte, kreative Biografiearbeit geht von einem ganzheitlichen Welt- und Menschenbild aus, in dem Menschen grundsätzlich mit Potentialen und Ressourcen gesehen werden. Sie fördert den Respekt für das eigene Leben, das eigene Schicksal, weil sie konsequent nach dem Humus fragt, der uns hat wachsen lassen. Und: Sie stärkt den Respekt für den eigenen schöpferischen Ausdruck.
Die eigene Lebensgeschichte zu verstehen, sie als Quelle für das eigene Wachstum zu begreifen und mit ihr anerkennend und liebevoll umzugehen bedeutet Selbstermächtigung und gibt uns ein Gefühl von Selbstwirksamkeit.
Biografisches Schreiben ist ein Vehikel für diesen Selbstermächtigungs- und Verstehensprozess. Wenn wir uns schreibend unserem Leben zuwenden, begeben wir uns auf eine Entdeckungsreise. Diese kann schmerzhafte Erinnerungen hervorbringen, doch gleichzeitig werden wir schöpferisch aktiv, machen einen Schritt und gestalten damit unser Leben.
Regelmäßiges Schreiben ist eine Prozessarbeit. Sie stärkt nicht nur unsere Erkenntnisfähigkeit sondern auch unsere Empathiefähigkeit – vor allem, wenn wir das Schreiben in einer Gruppe teilen. Denn es braucht grundsätzlich Resonanz, um uns als Menschen zu verstehen und wertzuschätzen. Und nur, wenn wir uns und andere verstehen, verstehen wir auch die Welt.